Tagebuch aus dem Lockdown

Vor gut fünf Wochen war ich das letzte Mal außerhalb unserer Wohnanlage, vor einer guten Woche vor der Haustüre… Wie es wohl da draußen aussieht? 

Am ersten April ging Shanghai in den kompletten Lockdown. Kauft noch mal gut ein, aber keine Hamsterkäufe machen, die Versorgung bleibt bestehen, hieß es kurz vorher. Klar, dass das der Aufruf war: GO und kaufe ein, was das Zeug hält. Fazit: leere Regale, ausverkaufte Lebensmittel und verzögerte Lieferung. Macht aber ja nichts, einige Supermärkte haben ja eine Lizenz für weitere Versorgung…. Dachten wir alle.

Zum Glück waren Kühlschrank, Gefriertruhe und Regale bei uns im Haus gut gefüllt, das Hundefutter kam dann kurz vor Toresschließung. Rien ne va plus.

Shanghai besteht aus zwei Teilen: Pudong/ Osten und Puxi/ Westen (hier leben wir). Der Plan war, Pudong für ein paar Tage unter kompletten Lockdown zu stellen, dann wieder zu öffnen und Puxi zu schließen. Am 30 März kam die Meldung: Pudong bleibt geschlossen und Puxi wird geschlossen, Lieferungen wurden eingestellt.

Wie Ihr im letzten Blog ja schon erfahren habt, kam die erste Lieferung vom Government ins Haus (Fisch, Hähnchen, Blaubeeren…), alles gut. Das Wochenende läutete die einzigen Schulferien in diesem Halbjahr ein: eine Woche – da freut sich der Hund… Spielen bis zum Abwinken, Streicheleinheiten und fürs Futter ist auch gesorgt.

Einziger Wermutstropfen: kein Gassi mehr, denn wir dürfen das Haus nicht mehr verlassen. Aber das ist für den ein oder anderen Vierfüßler dann noch unangenehmer: 

Foto von einer Bekannten Downtown

In Shanghai wurde es noch leiser als vorher. Immer mehr Leute posteten Bilder und Impressionen aus ihren Wohnungen. Vogelgezwitscher mitten in einer 25 Millionen-Metropole. Ein einmaliges Erlebnis: klick hier drauf.

Ich hoffe, dass die Fotografen die gleichen Fotos mit dem normalen Betrieb bald zeigen können.

Die Stimmung ist noch gut, doch langsam kommt Spannung auf… Die Zahlen steigen, und wer positiv getestet wird, kommt – wenn er ohne Symptome ist – in die Messehalle: 7000 Betten stehen bereit.

Foto aus der Presse

Eine Bekannte hat es erwischt, sie wurde mit einigen aus ihrem Compound hier hin gebracht. Zum Glück kam sie nach ein paar Tagen in ein Quarantäne-Hotel, in dem sie bis heute noch auf ihre Freitestung wartet. Aber da hat sie ein Zimmer mit ihrem Mann und muss nicht mit den anderen vor den Dixi-Klos anstehen und bei Licht schlafen. Mittlerweile wurde eine zweite Halle für noch mehr Fälle (50 000 Plätze) bei uns im Westen geöffnet und wird täglich gefüllt. Nachrichten machen die Runde, dass Notaufnahmen der Krankenhäuser schließen und Menschen dort nicht mehr aufgenommen werden, weil sie keinen gültigen Corona-Test haben. 

Die meisten Fälle sind Leute, die sich schon in Quarantäne befinden, 1.112 Fälle sind Leute, die im Lockdown waren.

Warum sich immer noch mehr Menschen anstecken, obwohl so viele in Quarantäne und alle im Lockdown sind? Vermutlich durch die Lieferketten der Nahrung.

Nahrung ist auch ein guter Punkt. Zunächst hatte ich ja noch mal alle Energie aktiviert und eingekauft, was das das Zeug hält (mit dem Hintergedanken: es wird nachgeliefert und es dauert 7 Tage)…Doch was kauft man ein? Und der Kühlschrank/ Gefrierschrank waren ja schon voll (denkt mal an Weihachten in Deutschland mit einem Wochenende inclusive, an dem man nicht einkaufen kann… ).

Und dann wurde gekocht und gebacken, was das Zeug hält. Sohn und Mann lernen (4. Woche Home-Schooling) und arbeiten (seit 5 Wochen) von daheim… da will die Seele auch etwas verwöhnt werden.

Allerdings werden  langsam aber sicher ein paar Lebensmittel knapper. Da klingelt es an er Haustüre – eine Lieferung vom direkten Nachbarn. Er hat für alle Haushalte eine Kiste mit Frischmilch ergattert. Einen Tag später kam ein Gruß von einem anderen Nachbarn. Er hat sich Sorgen um uns gemacht. Es fühlt sich gut an- besonders in solche Situationen – wenn man merkt, man wird nicht vergessen. Wir sind eben auch die einzigen Ausländer in unserer kleinen Anlage. 

Und auch in vielen anderen Compounds herrscht die Hilfsbereitschaft und Zuversicht. Man versucht, das Beste aus der Situation zu machen:

Doch trotz all der kleinen positiven Dinge habe ich am Donnerstag (nach 28 Tagen) einen Lagerkoller. Ich würde mich am liebsten nur verkriechen – oder einfach mal vor die Haustüre gehen. Ich weiß, dass es in anderen Teilen dieser Welt Krieg herrscht, Menschen mit unerträglichen Situationen zu kämpfen haben und auch hier in Shanghai Leute unter extrem schlechten Bedingungen den Lockddown verleben. Viele der Shanghainesen leben auf wenigen Quadratmetern, haben keine eigene Küche und dem entsprechend keinen Kühlschrank. Aber nur, weil es anderen schlechter geht, muss es einem selber ja nicht immer gut gehen. 

Am nächsten Tag sah die Welt schon wieder bei mir besser aus. Und der Alltag ging weiter. Eine Konstante dabei sind die Tests. Meist sind ein Selbsttest und ein offizieller Test ein Teil der Routine- und viele Menschen nutzen die Gelegenheit, aus ihren Wohnungen zu kommen, für ein paar Minuten frische Luft zu schnuppern und ein bisschen Spaß zu bekommen (Fotos von Bekannten aus ihren Compounds).

Unterm Strich bei uns also den Umständen entsprechend alles ok. Die Nachbarn haben mich in ihre Wechat-Gruppe aufgenommen. Hier erfährt man, wenn es jemandem gelungen ist, Nahrung zu bestellen. Denn wenn man die Chance hat, dann muss man direkt Großpackungen abnehmen und die kann man dann tauschen. Ich hatte zaghaft nach Mehl und Eiern gefragt. Eh ich mich versehen hatte, klingelte ein Angestellter der Wohnanlage und brachte Eier mit dem Gruß unseres Vermieters. Abends gab es dann direkt Omelette mit Pilzen und Käse. 

Die Eier sollten uns über ein paar Tage hinweg tragen – ein anderer Nachbar steuerte noch Fleisch, Dumplings und Gemüse bei.  Für Menschen, die der chinesischen Sprache mächtig sind, ist es dann doch etwas einfacher, Nahrung zu jagen. Allerdings ist es anstrengend und man muss wissen, wo man es findet. Vielen älteren Menschen oder Personen, die nicht in ihren großen Anlagen verankert sind, weil sie eigentlich den ganzen Tag hart arbeiten und nur zum Schlafen in ihre Räume kommen, gelingt dies nicht und die sind an ihrem  Limit. 

Seit gestern heißt es, dass Bewohner der  Wohnanlagen, die in den vergangenen 14 Tagen keinen positiven Fall hatten, bald wieder vor die Haustür dürfen. Das wäre schon mal ein kleiner Fortschritt… zumindest anscheinend für uns. Und auch Quinley würde es genießen. Denn er kennt nun jeden Winkel des Gartens und bekommt einen kleinen Lagerkoller (wie willst Du es dem Hund erklären)?

Fakt ist: jeder ist erschöpft. Die Leute, die rund um die Uhr testen, definitiv mehr, als viele andere. Aber auch hier wieder: nur, weil es anderen schlechter geht, muss es einem selber nicht gut gehen. Denn zur Zeit züchte ich nicht nur meine Hefe selber, backe Sonntagsbrötchen und erkunde, was man mit chinesischem Gemüse alles zaubern kann, sondern wasche auch unsere Wäsche per Hand. Denn seit heute ist meine Waschmaschine kaputt. Und durch den Lockdown kann eben keiner aus seiner Wohnung rausgehen und zu uns in den kommenden Wochen kommen…. 

  1. Wenn der Hintergrund nicht so furchtbar wäre, hätte ich große Freude an den Fotos
    Lagerkoller und Durchhänger darf man haben…(hatte ich mehrfach🙈für dich als Freigängerin mehr als verständlich
    Es beruhigt mich sehr dass Ihr so tolle Nachbarn habt…kann ja nicht überall sein😉

    Ich schicke jetzt mal einen XXL Drücker samt Durchhaltegrüßle auf die Reise und ein Vögelchen mit nem Zettelchen im Schnabel von der Bine einen Gruß

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    1. Aber man kann ja auch Freude an den Fotos haben, wenn die Situation so ist – die ändert sich ja nicht… Ja, komisch eigentlich, dass Du das nicht kannst – solltest Du mal dran arbeiten – dann zeige ich Dir Shanghai – in Person 😁 Drücker angekommen – VIELEN DANK

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  2. Hallo liebe Alex, haltet durch! Und ich drücke die Daumen 🤞🏻, dass es bald vorbei ist und ihr wieder raus dürft. Och nõööö die Waschmaschine geht aber auch immer im unmöglichsten Moment kaputt 🙄 das tut mir leid. Aber bestimmt habt ihr bald die Möglichkeit sie reparieren oder ersetzen zu lassen, toitoitoi 🍀. Ganz liebe Grüße, wir drücken Dich, Kirsten

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    1. Liebe Kirsten! Danke für die aufmunternden Worte! Ich werde wohl noch etwas mit der Hand waschen müssen… Man munkelt, dass das Lockdown bis Mitte Mai gehen wird….

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  3. Liebe Alex, Dein Bericht über die derzeitige allgemeine Lage und insbesondere Eure persönliche hat mich sehr betrübt. Du hast vollkommen recht, nur, weil es anderen noch schlechter geht, muss es einem selbst nicht besser gehen. Das Eingesperrtsein kann uns zermürben und uns unsere Energien nehmen, insbesondere, wenn man nicht weiß, wann es vorbei sein wird. So ausgeprägt war es bei uns ja nicht, aber die monatelangen Kontakteinschränkungen, vor allem im Winter, hatten auch mir ziemlich zu schaffen gemacht. Erst heute Morgen habe ich in unseren Zeitungen wieder einen Artikel über Shanghai gelesen… Ich hoffe und wünsche Euch dreien und dem Hund natürlich auch, dass Ihr es bald geschafft haben werdet. Und hoffentlich bekommst Du bald eine neue Waschmaschine. Das ist ja unsäglich, alles auf der Hand waschen zu müssen. Bleibt gesund und fröhlich und haltet durch. Wir denken an Euch und wünschen Euch das Allerbeste.

    Herzliche Grüße Elisabeth

    Elisabeth Hofmann Am Stadtgarten 71 47906 Kempen

    0160 10 84 84 7 02152 5506100

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    1. Liebe Elisabeth! Vielen Dank für Deinen lieben Worte. Ja, es wird etwas zäh … aber wir halten durch und freuen uns auf den Moment in dem wir im Café sitzen oder Restaurant und denken: Man, war das eine verrückte Zeit!

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