Ich würde es glatt wieder machen

… wenn es sein müsste, auch wieder mit dem härtesten Lockdown weltweit!

Vor gut einem Jahr „öffnete“ sich Shanghai wieder, die Zäune wurden abgebaut, die Restriktionen gelockert, die Ausgehbeschränkungen aufgehoben. Es kommt mit vor, wie eine Ewigkeit. Und dennoch merkt man eigentlich erst jetzt, dass es ein Jahr gebraucht hat, bis sich die Stadt einigermaßen von all dem wieder erholt. Die Restaurants sind wieder voller (und da alles Vor-und Nachteile hat: Man muss viele Restaurants wieder im Vorfeld reservieren – das war lange nicht so), der Verkehr ist wieder deutlich stärker (man braucht erheblich länger, um in die Stadt zu kommen), aber Konzerte und Veranstaltungen (sogar internationale) und Reisen werden immer öfter angeboten. Und so merkt man leider auch, was wir alles in den vergangenen drei Jahren, in denen Corona gewütet hat, verpasst haben. Aber ich will nicht klagen (nur ein bisschen).

Nun ist unser Haus wieder verpackt und auf Reisen. Quinley und ich haben es uns für die kommenden zwei Tage in einem Hotel in der Stadtmitte gemütlich gemacht. Er liebt den Balkon und will gar nicht mehr von seinem neuen „Hunde-Fernsehen“ weg.

Ich glaube, er ist auch ein bisschen Stadthund und genießt es! Das kann er dann bald in Europa öfter machen. Denn auch, wenn in Shanghai Hunde ein Statussymbol sind, kann man sie nur in wenige Restaurants mitnehmen, in Shopping Malls sind sie verboten und auch in den meisten Parks haben sie keinen Zutritt. „Die Chinesen“ sind eh die Weltmeister der Verbotsschilder für mich. Und hab und zu stehen Schilder mit Hinweisen, was man machen sollte: wie zum Beispiel hier ein Foto machen (warum auch immer)

Doch öfter dominieren eben die Verbotsschilder, wie zum Beispiel an den Parkeingängen.

Und immer wieder stellt sich bei mir die Frage: wer bitte möchte in diesem Teich schwimmen gehen?

Diese Stadt bleibt spannend, und bei unsern Spaziergängen zeigt sich wieder, wie viel ich immer noch nicht gesehen habe: unter anderm die Geburtsstätte der chinesischen Regierung, den Flaschenöffner, einige Museen usw. Aber es zeigen sich auch die Gesichter, die wir in unserer „Expat-Blase“ auf dem Lande nicht gesehen haben: Obdachlose (auch, wenn es diese offiziell nicht gibt).

Man kann das Land und Politik bewerten, wie man will, eins hat dieses System: man fühlt sich nie gefährdet in Shanghai. Wie oft bin ich alleine spät in der Stadt unterwegs gewesen oder U-Bahn gefahren und hatte nie Angst, bedroht, attackiert oder ausgeraubt zu werden.

Ein schöner Abschied war auch die letzte Ausstellung. Jeder konnte drei seiner Bilder oder Photos spenden, professionelle Kuratoren haben die Preise festgelegt und der Erlös ging an eine Hilfsorganisation, die herzkranken Kindern Operationen ermöglicht. Alle meine Bilder sind verkauft worden – ein gutes Gefühl: sie gefallen aus Leuten, die mich nicht kennen und gleichzeitig konnte ich ein bisschen die Organisation unterstützen (und habe noch sehr spannende Menschen kennengelernt). Ich hätte sogar eine Anschlussausstellung im Angebot gehabt – tut dem Ego gut.

Mit Henriette habe ich einen Tag vor Abflug ein paar Ecken erkundet, die noch auf meiner Liste standen. Unter anderem der „Zero Center Point of Shanghai“ im Parkhotel. Das 83 Meter hohe Haus wurde 1934 erbaut und war lange Zeit das höchste Asiens. 1950 entschied das „Bureau of Land Administration“, die Spitze des Hauses zum Nullpunkt zu nehmen und von da aus die Stadt zu vermessen. Seit dem steht dieser Punkt in der Lobby des Hotels und wird von den meisten mißachtet. Auch, als 2021 ein neues Koordinatensystem eingeführt wurde, blieb hier der Zero Center Point der Stadt und damit ist Shanghai die einzige chinesische Stadt, die nie ihren offiziellen Centerpoint verändert hat.

Das Hotel selber hat den Charme der 1920er und ist unter anderm für seine Hausbäckerei, die super leckere Schweinsöhrchen, Croissants und Hightea bekannt.

Für uns ging es weiter zum Konfuziustempel – oder eben an die Stelle, an der er mal stand und „renoviert“ wird.

Die meisten Wohnungen drumherum sind bereits zugemauert, die Bewohner haben Ihre Heimat verlassen und die Verbliebenen waren dabei, die letzten Koffer zu packen. Sachen wurden aus den kleinen Wohnungen gebracht, auf der Straße verkauft oder die Plunderhändler griffen sich alte Decken, Metall oder das womit sie noch hoffen, etwas Geld zu machen.

Ein Mann erzählte voller Vorfreude, er würde ein neues Leben in Singapur aufbauen. Was dieses Ehepaar vor sich hat, bleibt sein Geheimnis . Ich hätte wieder einiges dafür gegeben, ihre Geschichte zu erfahren.

Natürlich wäre ein Abschied von Shanghai kein Abschied, ohne noch einmal zum Sonnenaufgang zum Bund zu gehen. Das haben Quin und ich auch am Tag des Abflugs gemacht, es hat auf jeden Fall gelohnt, um 4 Uhr aufzustehen. 

Für alle, die vielleicht etwas traurig sind, dass dieses Abenteuer nun hier erst einmal endet: Ich werde immer wieder nach China fahren und Euch auf dem Laufenden halte! Und natürlich gibt es noch viele tolle Ecken auf dieser Welt, die entdeckt werden müssen. 

Und dann wird unser zweites Buch im Sommer veröffentlicht! 

Also: Stay tuned, wie der Chinese bekanntlich sagt, oder 再见, Zàijiàn, bis bald!

  1. Ganz herzlichen Dank für die interessanten und einfühlsamen Berichte aus einem für mich SEHR unbekannten Land und deren Menschen; ich werde sie vermissen😂

    Gutes Einleben in der Heimat.
    LG Henner Kipphardt

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  2. Da habe ich doch im ganzen Trubel den letzten China Blog verpasst.
    Diese letzten Fotos des Aufbruchs haben etwas rührendes für mich. Ja, diese Geschichten wären (wie aĺl die vielen) sehr interessant.
    Ich freue mich sehr dass du wieder (meine rasende Nachbarin) bist

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